"Fulda steht für Klarheit." So war das letzte Hirtenwort überschrieben, das Erzbischof
Johannes Dyba in seiner Kirchenzeitung veröffentlicht hat. Aber Fulda, das
kirchliche wohlgemerkt, stand nicht nur für Klarheit - etwa in der Frage der
Schwangerenberatung mit dem ominösen Schein. Auch Streit und Kontroversen waren
mit der Bonifatius-Stadt verbunden, seitdem der gebürtige Berliner und
langjährige Vatikan-Diplomat Johannes Dyba dort im Jahre 1983 das
Kirchenregiment übernommen hat. Gelindert wurde manche Erregung durch die
heimliche oder offene Freude an den Formulierungen des sprachgewandten
Erzbischofs - sonst hätte ihn das gewohnt kirchenkritische Magazin "Der
Spiegel" wohl kaum zum Dauer-Interviewpartner gekürt.
Priester geworden, um das Wort Gottes zu verkünden
Dyba
konnte überspitzen - wenn er von der "Tötungslizenz" oder den "Staatstheologen"
sprach -, aber stets blieb er griffig: "Zweifel sind nicht dazu da, dass man
sie mästet", meinte er einmal, wem die Regeln der katholischen Kirche nicht
gefielen, für den gebe es mehr als dreihundert andere christliche Kirchen.
Unverbindlichkeit war Dyba ein Graus. Seine Entscheidung, Priester und nicht
Politiker zu werden, begründete er kurz und knapp: "In der Demokratie herrscht
die Mehrheit, in der Kirche die Wahrheit". Und seine Freude über den Wechsel
von der Vatikandiplomatie an die Spitze des Bistums Fulda erläuterte er damit,
er sei "doch Priester geworden statt Jurist, um das Wort Gottes in der eigenen
Sprache zu verkünden und nicht, um als Diplomat in verschiedenen Sprachen immer
zu schweigen".
So
sind die Würdigungen des in der Nacht zum Sonntag verstorbenen Erzbischofs
überaus respektvoll ausgefallen. Als "Mann von klaren Positionen, die er auch
in aller Deutlichkeit in der Öffentlichkeit vertreten" hat, würdigte ihn die
Bundesregierung. Dyba habe "auf seine Art den deutschen Katholizismus
mitgeprägt", erklärte ein Regierungssprecher in Berlin. Als einen "fröhlichen
Spalter" und "herzlichen Fundi" kennzeichnete ihn die "Süddeutsche Zeitung",
etwas dumpfer titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Wortgewaltig und
polemisch". Sein Widerpart in der Deutschen Bischofskonferenz, der Vorsitzende
derselben und Mainzer Oberhirte Karl Lehmann, erklärte, "aus tiefer
Überzeugung" habe Erzbischof Dyba "immer wieder einen leidenschaftlichen
Einsatz für ein entschiedenes Christsein und eine unzweideutige Kirchlichkeit"
geleistet. "Auch wenn wir manchmal mit ihm darüber stritten, haben uns seine
Menschlichkeit und sein Humor geholfen, versöhnlich im Geist unseres Glaubens
zusammenzuwirken." In Kirche, Politik und Gesellschaft erkennt man in diesen
Tagen an, dass Dyba trotz aller Ecken und Kanten eine profilierte
Persönlichkeit war: klar, eindeutig und vor allem gläubig.
Doch
es wäre zu kurz gegriffen, Johannes Dyba nur als eine Art kirchlichen En-
tertainer auf der Bühne der stets nach Reizen gierenden Medienwelt zu sehen,
der nun einmal die Rolle des päpstlichen Wadenbeißers übernommen hat. Für viele
Katholiken in Deutschland, die treu zum Papst und zum Zweiten Vatikanum stehen,
ist der Tod Dybas ein Schock - jedoch nicht, weil nun der Rhetoriker fehlt, der
den notorischen Papstkritikern und Hohenpriestern des Zeitgeistes verbal Paroli
bieten kann. Dyba war ein Mann, dessen Vita allein schon dafür Sorge trug, dass
ihn der "deutsche Bazillus", jener antirömische Affekt, vollkommen verschont
hat. Etwa zwanzig Jahre lang hat der 1959 von Kardinal Frings geweihte Priester
Weltkirche erlebt. Im Juli 1962 trat Dyba dann nach zwei Jahren als Kaplan in
Wuppertal und dem Beginn des Kirchenrechts-Studiums an der römischen Lateran-Universität
in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls ein: erst als Mitarbeiter;
später als Leiter der deutschen Abteilung des päpstlichen Staatssekretariats.
Im Dezember 1967 wurde er in die Apostolische Nuntiatur in Buenos Aires
entsandt, ein Jahr darauf in die päpstliche Vertretung in den Niederlanden, im
Juli 1972 in die Nuntiatur in Kinshasa in Zaire und 1974 nach Kairo. Im Juni
1977 kehrte er nach zehnjährigem Außendienst in die Zentralverwaltung der
katholischen Kirche zurück. Bis 1979 war er als Vizesekretär der päpstlichen
Kommission "Justitia et Pax" in Rom tätig. Am 25. August 1979 wurde Dyba
schließlich von Papst Johannes Paul II. zum Titularbischof von Neapolis in
Proconsulari (Nordafrika) ernannt - am 13. Oktober 1979 empfing er im Kölner
Dom die Bischofsweihe. Danach wurde er als päpstlicher Vertreter nach
Westafrika mit Sitz in der liberianischen Hauptstadt Monrovia entsandt. Dyba
vertrat hier den Heiligen Stuhl als Apostolischer Pronuntius in Liberia und
Gambia sowie als Apostolischer Delegat für Guinea und Sierra Leone, bis er am
4. Juni 1983 seine Ernennung zum Bischof von Fulda erhielt und am 4. September
des gleichen Jahres in sein Amt eingeführt wurde.
Eine Kirche in Deutschland, in der alles anders geworden war
Dyba
hat weder den Umbruch der 68er Jahre in Deutschland erlebt noch die bald nach
dem Konzil einsetzende stille Revolution in der deutschen Kirche. Als er Anfang
der sechziger Jahre sein Heimatland verließ, hatten die Theologen ein - noch
weitgehend - ungestörtes Verhältnis zum römischen Lehramt, stand die Kirche
noch im Dorf und der Pfarrer - nicht der Laie - auf der Kanzel,
Glaubenswahrheiten predigend, nicht Glaubenszweifel. Als Dyba zurückkehrte,
hatte er die Weltkirche erlebt, und Menschen, die - wie er einmal schrieb -
"unter so armseligen Bedingungen leben und doch so gerne und herzlich lachen
und sich mit einer Begeisterung für ihre Kirche einsetzen, die einen manchmal
verschämt werden lässt." Und er stieß auf eine Kirche in Deutschland, in der
alles anders geworden war. Das ideelle Bündnis zwischen ihm und den romtreuen
Katholiken war schnell geschlossen - und ebenso schnell meldete sich die
Reaktion. "Stoppt Dyba" war in den achtziger Jahren auf vielen Aufklebern der
Autos in Hessen und darüber hinaus zu lesen.
Als Verfechter klarer Positionen zur Symbolfigur
Nachdem
Dyba 1993 die Ausgabe von Beratungsscheinen in seiner Diözese eingestellt
hatte, fiel ihm dann auch im deutschen Episkopat eine singuläre Position zu,
was ihn für die Verfechter klarer Positionen im 218-Dauerkonflikt nur noch mehr
zur Symbolfigur machte. Die Stellung, die der deutsche Kurienkardinal Joseph
Ratzinger in der Theologie eingenommen hatte, bezog Dyba auf dem Gebiet der
Disziplin der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat: zwei Kristallisationspunkte,
um die sich viel an Zustimmung, ja Verehrung derer sammelte, die in der Kirche
Deutschlands der siebziger und achtziger Jahre das Bild der geliebten Catholica
entschwinden sahen.
Johannes
Dyba hat wohl seit Monaten gewusst, dass er nicht mehr lange dieser
Kristallisationspunkt sein wird. Beim Bonifatius-Fest Anfang Juni zeigte er
Besuchern des Fuldaer Doms sein Grab, in seiner engsten Umgebung deutete er an,
dass er für sich nicht mit einem hohen Alter rechne. Die letzte große Predigt ,
die er vor den Wallfahrern am Bonifatius-Tag hielt, kreiste um die Treue zum
Glauben und die Verheißung einer seligen Ewigkeit. "Wer an mich glaubt, hat das
ewige Leben; und den werde ich auferwecken am jüngsten Tage", zitierte Dyba das
Christus-Wort und fuhr fort: "Ja, wer in diesem Leben durch dick und dünn treu
bleibt, der wird einmal das Wort des Herrn hören: ,Komm, du guter und treuer
Knecht. Du bist im Kleinen treu gewesen. Nun will ich dir Großes anvertrauen.
Geh ein in die Freude deines Herrn‘." Diese Freude des Herrn war Dyba wichtiger
als alles andere, wichtiger als mancher Schlagabtausch oder manches Interview -
und sicherlich auch wichtiger als der Zuspruch der Öffentlichkeit.